

Vor dem Gesetz
Öl auf Leinwand, 80 x 60, Wz: 265
Text: Annegret Neunzig
Vor dem Gesetz
steht ein Türhüter...
„Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“
(Franz Kafka, vor dem Gesetz aus: das Urteil und andere Erzählungen, Frankfurt a.M. 1973, S.81)
Dieses Bild der Technophilosophischen Kunst zeigt beispielhaft, wie ein Zusammendenken von Literatur und Mathematik (Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft) ein tiefgründigeres Verstehen ermöglicht.
Die Konstruktion des Turms entwickelt sich nach einem mathematischen Gesetz, dem Gesetz der Fibonacci-Zahlenreihe. Die Entwicklung ist derartig, dass der Vordergrund immer wieder den Hintergrund umgreift. Von oben betrachtet sieht man eine eckige, sich nach außen hin exponential entwickelnde Turmpyramide, die alles umschlingt und immer gewaltiger wird. Das Bild folgt in seiner Bildentwicklung einem mathematischen Gesetz und wird so zum Gesetz selbst. Nur die Begrenzung der Leinwand beschränkt die Entwicklung, so dass der Eindruck entsteht, eine alles umfassende Ummauerung wäre verhindert – aber geht diese nicht vielmehr über das Bild hinaus und zieht den Betrachter mit hinein? Momentaufnahme oder Beginn einer Entwicklung.
Der Betrachter, wie auch die im Vordergrund stehende Türsteherfigur werden bei fortschreitender Abwicklung zwangsläufig vom „Gesetz“ umschlungen und eingefangen und damit – Teil des Gesetzes. Diese Zwangsläufigkeit der Beherrschung des Menschen durch das Gesetz ist eine der schonungslosesten Aussagen der kafkaschen Parabel. Das erklärt ihre schauerliche Wirkung auf den Leser. Der Mensch steht dem Gesetz nicht nur ohnmächtig gegenüber – das Gesetz bestimmt ihn, weil er Teil des Gesetzes wird und aus ihm weder ausbrechen noch zum Kern hin vorzudringen vermag, um vielleicht dort seinen Sinn – im Zentrum – zu finden.